längere Texte

Thomas – eine Predigt aus der Ich-Perspektive, als Ein-Mann-Stück vorgetragen


Kniend: Mein Herr und mein Gott, Lebendiger, du kennst Junia; du siehst den Brief, den sie mir geschrieben hat; du kennst die Antwort, die ich in meinen Händen halte. Lass uns die Zeilen doch noch einmal gemeinsam lesen; zeige mir auf, wo ich nicht in deinem Sinne antworte. Amen


Liebe Junia, ich danke dir für deinen ausführlichen Brief und deine Wissbegierde unseren Herrn betreffend, welches ich deinen Zeilen entnehme. Ebenso danke ich Lukas, meinem Freund und Mitapostel, dass er dir empfohlen hat, mich zu unserem Herrn zu befragen. Durch sein Begleitschreiben habe ich einiges über dich erfahren. Er empfiehlt dich herzlich als Schwester, die den Lebendigen persönlich kennengelernt hat. Dass er dir nicht selbst Rede und Antwort steht, hat wohl mit seinem Unterfangen zu tun, nach seinem Bericht über das Leben Jesu, nun auch noch eine Geschichte über das Wirken der Apostel, vor allem des Neuen, des Paulus, zu verfassen.

Du nennst mich bei meinem Namen „Thomas“, den du sicher von Lukas so gehört hast. Hat er dir auch gesagt, dass ich als Judas geboren wurde? Th‘oma war von Jugend auf mein Beiname, den ich bekam, nachdem meine Zwillingsschwester durch einen Unfall mit einem römischen Streitwagen gestorben war.


Ich bekam den Beinamen „Zwilling“ zur besseren Unterscheidung, da Judas ein Allerweltsname ist, jeder zweite heißt so.

Nachdem aber dieser eine Judas, der Ischkariot - auch ein Beiname - zu bitterlichem Ruhm gekommen ist, ist er unter uns Gläubigen an den Lebendigen gewissermaßen ein verbrannter Name. Daher wird der Name Judas unter den Anhängern des Lebendigen vermieden, obwohl ja selbst einer der leiblichen Brüder unseren Herrn nach wie vor so heißt.

Dabei hat Jesus selbst Judas, den Ischkariot, nicht verurteilt. Er hat seine Tat in Frage gestellt und ihm so eine Tür geöffnet. Jesus hat jeden ernst genommen, niemanden verurteilt oder gemieden.

Wäre es dann nicht besser, die Dinge beim Namen zu nennen, statt den Namen auszulöschen?


Nun ja, dann bin ich eben Thomas - Thomas, der Erste - der erste Thomas der Weltgeschichte …

Auf Tisch aufstützen, traurig: Wenn dieser Name mich nur nicht beständig an meine Schwester erinnern würde. Zwilling, der Zwilling – der Zwilling der getöteten Zwillingsschwester.

Wütender werdend: Es ist, als ob der Riss, den meine Seele damals bekam –

Krug auf Tisch schlagen - auch durch diesen neuen Namen immer wieder ...

Krug zerschlagen: Scherben ...

Tief Luft holend und Scherben betrachtend, herumschiebend: Du bist der Töpfer, der am liebsten mit Scherben arbeitet. (Nach Lukas 5,31f)

Zurück zum Brief:


Du fragst wiederholt nach dem irdischen Jesus, wie er so gewesen ist. Dabei hast du doch den Lebendigen selbst erlebt.

Ja, ich habe mit Jesus drei Jahre zusammengelebt, aber in seiner Tiefe verstanden habe ich ihn erst, nachdem er mir als Auferstandener begegnet ist. Es war, als ob ich ihn angezogen habe, aber nicht nur äußerlich wie ein Hemd, sondern auch innerlich, wie Medizin.


Nachdem ich ihn habe so am Kreuz sterben sehen und die anderen mir dann haben einreden wollen, er sei gar nicht tot, da habe ich in meiner Trauer und Verbitterung Ansprüche gestellt, die ich hätte nicht stellen dürfen – aber auch darin hat er mich einfach nur ernst genommen. Ich bekam das Gefühl, dass ich ihm nicht zu nahe treten kann.


Man kann ihm nicht zu nahe treten – du kannst ihm nicht zu nahe treten. Was auch immer du auf dem Herzen hast, was auch immer deiner Seele die Luft abschnürt – bringe es dem Lebendigen.


Junia, um meine Reaktion damals zu verstehen, musst du verstehen, dass die Auferstehung der Toten unter Juden keineswegs eine ausgemachte Sache ist. Die Gelehrten streiten sich da nach wie vor. Für mich als Juden war die Auferstehung nicht real, sie hat nicht in mein Bild von Wirklichkeit gepasst.

Es wäre schön, wenn ihr, die ihr heute, Jahre später, an den Lebendigen glaubt, das nachvollziehen könntet, wie es uns Jüngern – Männern und Frauen – damals in dieser nicht nur emotional so hoch brisanten Situation ging.


Also sagte ich geradeheraus: Ich kann erst glauben, wenn ich meine Finger in seine Wunden gelegt habe. Ja, schlimmer noch, ich sagte: „... keinesfalls, nie und nimmer werde ich glauben, wenn ich nicht ...“. Und als er dann lebendig vor mir stand, glaubst du, da wäre ich auf die Idee gekommen, das einzufordern? Da konnte ich nur noch auf die Knie gehen ...


Glaube braucht Begegnung – aber nicht irgendeine. Die Berichte der anderen, ja sogar die Freude, die Begeisterung der anderen haben nicht ausgereicht. Auch die Erlebnisse mit dem irdischen Jesus nicht. Es brauchte die Begegnung mit dem Lebendigen, und niemand als der Auferstandene selbst kann diese Begegnung schenken. Acht lange Tage musste ich warten, nachdem die anderen mir von der Begegnung mit ihm berichtet hatten. Was für eine „Ewigkeit“. Acht Tage Raum für Vorwürfe, Angst, natürlich auch Zweifel, Ungewissheit, ... Aber dann, dann brauchte es selbst die Berührung, die ich eingefordert hatte, nicht mehr. Mein aus tiefer Überzeugung Gesagtes „nie und nimmer“ wich dem Glaubensbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott“, welches er tief in mein Herz eingepflanzt hat.


Was ist in dein Herz eingepflanzt? Aus welchen Begegnungen heraus stammen deine Überzeugungen? Was findet der Lebendige vor, wenn er an deine Herzenstür klopft und du ihm öffnest?


Ich weiß, dass meine Forderung, dass ich deine Wunden berühren wollte, in den Gemeinden die Runde macht, dass ich diesen Stempel so schnell wohl nicht wieder loswerde.

Vielleicht helfen ihr diese Zeilen ja, mich besser zu verstehen. Und vielleicht fragt sie sich: Wie gut sie jemanden wirklich kennt, bevor sie sich ein Urteil bildet, eine Beurteilung erlaubt? Ja, Wie viel Schaden bringen wir in die Welt durch Urteile, die oft genug Vorurteile sind?


Ich möchte dir noch von einer weiteren Begebenheit erzählen, die ich mit dem irdischen Jesus erlebt habe:

Hat dir Lukas davon erzählt, dass Jesus Tage hatte, an denen er lange und für uns zum Teil recht unverständliche theologische Reden hielt? Manchmal, so hatten wir den Eindruck, vergaß er, dass wir als seine Schüler noch sehr jung und unerfahren waren; er mit uns ja keine Gelehrten vor sich hatte.

In einer dieser Reden ging es um die Zukunft: dass er weggehen würde – was wir uns damals noch gar nicht vorstellen konnten. Es ging um den Vater im Himmel, um Wohnungen und Wege – und dass wir das alles doch schon wüssten ...

Als ich dann sagte, wir wüssten nicht, wohin er gehen würde und fragte, welchen Weg es dorthin gäbe, hat er überhaupt nicht genervt reagiert. Er hat mich und meine Frage vielmehr ernst genommen und mit anderen Worten noch einmal beantwortet.

Er sagte: Ich bin der Weg. Und damit hätte er es belassen können. Er hat aber zwei andere Fragen, die tief verborgen in mir schlummerten gleich mit beantwortet. Er sagte auch: Ich bin die Wahrheit. Ich bin das Leben.


Junia, du kennst die heiligen Schriften. Als Mose Gott nach seinem Namen fragte, da sagte Gott: Ich bin, der für dich da ist (2. Mose 3,14). Auch beginnen die zehn Gebote mit: „Ich bin“ der Herr, dein Gott (2. Mose 20).

Die Worte des Vaters – dieses „Ich bin“; dieses „Ich bin, der für dich da ist“ – die gleichen Worte hat Jesus benutzt:


Ich bin der Weg, der für dich da ist.

Ich bin die Wahrheit, die für dich da ist.

Ich bin das Leben, das für dich da ist.


An Tisch setzen:

Ich bin der Weg, der für dich da ist, Thomas, wenn du strauchelst. Ich bin die Wahrheit, die für dich da ist, wenn dich deine Fragen martern. Ich bin das Leben, das für dich da ist, wenn du Todessehnsucht hast, wenn die Risse deiner Seele nicht zu heilen scheinen ...


Er hat sich allein durch diese wenigen Worte Gott gleich gestellt. Das und soviel anderes, was ich drei Jahre lang mit ihm erlebt habe, hat mich bei meiner Begegnung mit dem Lebendigen auf die Knie gezwungen, es hat mein Herz umschlossen und nicht wieder losgelassen.

Nun wusste nicht nur mein Verstand: Ich bin ein Kind Gottes – Thomas, der Zwilling, ist ein Kind Gottes. Mein Herz wusste es, meine Seele. Ja, es ist mehr als Wissen. Es ist Sicherheit.


Da du bestimmt nur die griechische Übersetzung der heiligen Schriften kennst, noch ein Wort zum hebräischen Original des Gottesnamens: Man kann den von Gott selbst gewählten Namen nicht mit einem Wort oder Satz übersetzen, es braucht vier Sätze, denn sowohl Einzahl als auch Mehrzahl und gleichzeitig Gegenwart und Zukunft gehen hier ganz ineinander über:


Ich bin da für dich.

Ich bin da für euch.

Ich bin da.

Ich werde da sein.


Das ist reine Zuwendung: Ich bin da im Blick auf dich und werde es immer sein. Ich bin da im Blick auf euch und werde es immer sein.

Reine Zuwendung – die ich durch Jesus, den Lebendigen, erfahren habe.


In dieser Zuwendung wirst du niemals Gewalt oder einen Machtanspruch finden.

Lerne daraus, über andere keine Macht auszuüben.

Macht ist eine Sucht, eine, die versteht, sich gut zu verstecken.

Auch wenn du es gut meinst, wenn du z.B. jemanden beschützen willst, kann sie sich einschleichen und dich verführen, dass du über andere Macht ausübst ...


Es werden Tage kommen, in denen sich der Mensch als König über alles und jeden sehen wird. Er wird sich selbst auf den Thron in den Himmeln setzen und den Herrschaftsanspruch stellen. Dies werden Tage des Neides und der üblen Nachrede sein; der Eifersucht, des Unverstandenseins, der Unverhältnismäßigkeiten, des Hasses, der Machtausübung und der Gewalt.

Der Lebendige selbst sagt über diese Zeit: Es werden Tage kommen, da ihr mich suchen und nicht finden werdet. (aus Logion 38)


Auch betete er zum Vater und sprach: „Herr, es sind viele um die Trinkmulde, aber nichts ist in der Zisterne.“ (Logion 74)


Erst wenn der Mensch wieder vom Thron gestürzt sein und dem Vater allein die Ehre gegeben wird, wird es auch zwischen den Menschen wieder Frieden geben.

Dann wird die Zisterne gefüllt sein und das lebendige Wasser übersprudeln. Durch dieses Wasser, welches der Lebendige selbst ist, werden die Völker den Vater erkennen.

Aber jedem Einzelnen, dir – Junia – als Einzelne ist dies jetzt schon gegeben:

Trinke vom Munde des Lebendigen und du wirst werden wie er, und er selbst wird du werden, und das Verborgene wird dir offenbart werden. (nach Logion 108) Denn Jesus hat uns den Vater gezeigt. Er allein ist das Abbild. Er allein ist der Spiegel. Er allein ist die Seele, das Herz, der Geist des Vaters. Er allein. Ohne ihn kein Friede.


Wir wissen aber, dass denen, die keine Macht über andere ausüben, alle Dinge zum Besten dienen.


Dafür ist der Heilige Geist in die Welt gekommen. Er ist die Weiterführung, der Möglichmacher. Durch ihn hast ja auch du den Lebendigen erlebt und erlebst ihn noch.


Jesus sagte einmal: Wenn sie euch fragen: ‚Welches ist das Zeichen eures Vaters in euch?’, sagt zu ihnen: ‚Es ist Bewegung und Ruhe.’(aus Logion 50)


Es ist Bewegung und Ruhe – oh Lebendiger, wie ich dieses Wort liebe. Es ist das Zeichen des Vaters in mir.


Er sagte nicht: Es ist Stress und Stillstand. Oder: kopfloses Herumrennen und faules Dasitzen. Bewegung und Ruhe ergeben eine Ausgeglichenheit, eine Balance, die dir nur der Vater geben kann. Trägst du dieses Zeichen schon in dir? Ist der Vater in dir schon so groß? Bist du in seiner Liebe in Bewegung und in seiner Weisheit zur Ruhe gekommen?


Wenn du dir wünschst, dass das Königreich in dir ist, so akzeptiere, dass es auch außerhalb von dir ist (Nach Logion 3)


Es wächst in dir nur, wenn es auch außerhalb von dir wächst – es wächst außerhalb nur, wenn es auch in dir wächst.


Oh Lebendiger, sie stellt so viele Fragen ...


Wie mein Glaube lebendig bleibt?


Indem ich solche Briefe schreibe ...


Ich würde sagen:

Mein Glaube bewegt sich in Wellen – mal ist er groß, mal klein. Einmal war mein Glaube an ihn so groß, da wäre ich schon mit dem irdischen Jesus in den Tod gegangen (Joh 11,16); ein anderes Mal, du hast gerade davon gelesen, verstand ich Jesu Reden nicht (Joh 14,5); und als er ans Kreuz geschlagen wurde, konnte ich gar nicht mehr Schritt halten. Was dann zu besagter Szene führte ...

Was über all die Jahre bis heute geholfen hat, ist die Erneuerung des Bekenntnisses, welches ich damals sprach.

In gewissen Abständen – alle zwei, drei Jahre – das Bekenntnis „Mein Herr und mein Gott“ zu erneuern und damit dein Leben, mit allem, was es beinhaltet, ihm neu zu übergeben, das hilft.


Sicher, einige würden sagen, sein Leben in deine Hände zu geben, reicht einmal im Leben völlig aus und trägt für alle Zeit – aber sie fragt ja mich und nicht die anderen.


Suche dir einen Bruder, eine Schwester, die dir als sichtbares, freundliches Gesicht des Lebendigen zuhört, mit dir betet.


Höre nicht auf, mit dem Lebendigen selbst zu reden. Nimm dir Zeit zum Hören. Quatsche ihn nicht voll, schütte ihm dein Herz vielmehr schweigend aus. Nimm ihn in deinem Alltag wahr, wo immer es geht. Bete, dass er dir in der Stunde der Verzweiflung großen Glauben schenken möge.


Ganz am Ende deines Briefes fragst du nach meinem Lieblingswort von ihm. Da muss ich dich leider enttäuschen – das Lieblingswort gibt es nicht. Im Laufe meines Lebens waren es mehrere. So, wie ich mich verändert habe, so sind seine Worte mit mir gegangen. Es waren die Worte, die in mir Bewegung und Ruhe hervorgebracht haben. Es waren Worte, mit denen er meine zerrissene, meine zerschlagene Seele immer und immer wieder zusammengefügt hat.


Wie eben vorhin ... Töpfer, der aus Scherben Neues schafft ...


Worte, die etwas in mir bewirkt haben, was ich nicht in Worte fassen kann.


Manchmal wie ein Blitzschlag, manchmal wie eine „Stimme verschwebenden Schweigens“ (Martin Buber).


Als ich wissensdurstig nach den Sternen griff, sagte er zu mir: „Wer das All erkennt, sich selbst aber verfehlt, verfehlt das Ganze.“ (Logion 67)


Und als ich dachte, ich wäre angekommen, sprach er: „Werdet Vorübergehende!“ (Logion 42)


Höre also nicht auf, nach seinem Wort zu fragen. Lies den Bericht von Lukas und die der anderen, die seine Worte und Taten niedergeschrieben haben. Bleibe stehen, wenn dich ein Wort anspricht. Kaue es lange und genüsslich; schlucke es nicht als Brocken.


Grüße Lukas von mir und schreibe mir doch, ob dich auch durch meinen Brief Worte des Lebendigen angesprochen, in dir Bewegung und Ruhe erzeugt haben.


Im Namen des Lebendigen – Dein Bruder Thomas.

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